Förderung der strukturellen Durchlässigkeit im Sozial- und Gesundheitssektor: Entwicklung, Erprobung und Evaluierung von ECTS-relevanten Schulungskonzepten

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2. April 2012: Gespräch mit Rolf Schumacher, VG der Agentur für Arbeit Mannheim

Die nachfolgenden Aussagen sind ein Auszug aus einem am 2. April 2012 von Dr. Jürgen Zieher geführten Interview mit Herrn Rolf Schumacher, dem damaligen Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Mannheim. In dem Gespräch ging es um die Themen Fachkräftemangel im Sozial- und Gesundheitswesen sowie um Strategien, dem Fachkräftemangel in Sozialunternehmen entgegenzuwirken.

Rolf Schumacher, VG der AA Mannheim, April 2012

Wie schätzen Sie das Thema Fachkräftemangel in Sozial- und Gesundheitsberufen im Agenturbezirk Mannheim aktuell ein?

Derzeit besteht in Mannheim bewerberseitig in den Bereichen Kinderbetreuer/Erzieher, Sozialpädagogen, Heilerziehungspfleger, Altenpfleger, Gesundheits- und Krankenpfleger ein klarer Überhang an gemeldeten Bewerbern zu den bei der Agentur gemeldeten Stellen. Trotzdem kommt es zu erheblichen Besetzungsschwierigkeiten, weil die Arbeitgeber sehr konkrete Anforderungen im Stellenprofil vorgeben und die Bewerber oftmals diese Anforderungen nicht erfüllen (flexible Arbeitszeitrahmen/Konfessionszugehörigkeiten/ Mobilität). Aufgrund der im Regelfall geringen Bezahlung in den genannten Berufen wird kein Wohnungswechsel vorgenommen, um näher am Arbeitsplatz zu wohnen. In der mobilen Pflege ist ein steigender Bedarf zu verzeichnen, da Krankenhäuser Patienten schnell wieder nach Hause in das familiäre Umfeld schicken.

 

Wie schnell können derzeit die der Agentur gemeldeten offenen Stellen im Sozial- und Gesundheitsbereich (in der Regel) wieder besetzt werden?

Nach Einschätzung der Beratungsfachkräfte beträgt die Besetzungszeit für Zahnmedizinische Fachangestellte/medizinische Fachangestellte im Schnitt 6–8 Wochen, für die Bereiche Pflegefachkräfte-/Helfer, Physiotherapie im Schnitt 12–16 Wochen und für Erzieher/Sozialpädagogen im Schnitt 8–12 Wochen.

 

Inwieweit gibt es im Agenturbezirk Mannheim eine (lokale) Strategie zur Reduzierung des Fachkräftemangels im Sozial- und Gesundheitswesen?

Wenn ja, gibt es dabei Kooperationspartner? Die Strategie besteht darin, geeignete Bewerber hinsichtlich der Bereiche Sozial- und Gesundheitswesen zu beraten und zu qualifizieren. Kooperationspartner sind in diesen Fällen die Bildungseinrichtungen, die diese Qualifizierungen anbieten, sowie Alten- und Pflegeeinrichtungen, die potentiellen Bewerbern die Möglichkeit bieten, sich im Rahmen von Praktika über die Berufe zu informieren. An dieser Stelle will ich auch die „Mannheimer Messe für Sozial- und Pflegeberufe“ mit dem Titel Go-Social! erwähnen, die im Oktober 2011 im Theresienkrankenhaus stattfand. Davon abzugrenzen ist die Strategie für Jugendliche, also der U25-Bereich.

 

Inwieweit haben – Ihrer Meinung nach – die Sozialunternehmen im Agenturbezirk Mannheim den Stellenwert von älteren Beschäftigten erkannt?
Inwieweit gibt es nach Ihren Erkenntnissen bei diesen Arbeitgebern bereits Angebote für betriebliches Gesundheitsmanagement und für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um so die Attraktivität des Arbeitsplatzes/des Unternehmens zu erhöhen?

Die Agentur für Arbeit Mannheim hat genau zu diesen beiden Themenschwerpunkten am 31. Januar 2012 eine Veranstaltung für Arbeitgeber/Innen (KMU) durchgeführt. Auffällig viele Anmeldungen kamen aus dem Pflegebereich. Zwei Pflegebetriebe haben sich auch vor der Presse geäußert (Siehe Artikel „Firmen kämpfen um Mitarbeiter“, Mannheimer Morgen vom 1. Februar 2012).

Generell war auch bei früheren Umschulungen gerade in der Altenpflege immer eine hohe Bereitschaft vorhanden, auch lebensältere Personen noch in Ausbildung zu nehmen. Es wurde die Lebenserfahrung und die Sozialkompetenz geschätzt und die stärkere altersmäßige Nähe zur Generation der zu Pflegenden.
Bei der Gruppe der älteren Kunden erweisen sich mitunter die fehlende Mobilität und die gesundheitliche Situation als problematisch.

  

Was kann die Agentur für Arbeit Mannheim unternehmen, um bei Firmen für eine stärkere Sensibilisierung für die Belange der Mitarbeiter zu werben und damit letztlich zur Vorbeugung des Fachkräftemangels im Betrieb beizutragen?

Im Pflegebereich wird der Fachkräftemangel bereits gespürt, dennoch wird immer wieder auf Vorgaben hingewiesen, die zu beachten sind wie Pflegeschlüssel etc. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (es sind überwiegend Mitarbeiterinnen), die in Beschäftigung stehen, haben oft Doppelbelastungen zu tragen. Einige versuchen aus genannten Gründen auch aus dem Beruf auszusteigen. Im Pflegebereich arbeitet zudem fast jeder 5. Mitarbeiter (es dürften aber überwiegend Frauen sein) im Niedriglohnsektor, wobei es bundesweit noch ungünstiger aussieht.

Die Veranstaltung „Beschäftigte stärken: Gesundheit-Beruf-Familie“ am 31. Januar 2012 diente zur Sensibilisierung. Die Agentur für Arbeit Mannheim ist ein wesentlicher Antreiber bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Die AA Mannheim ist eine der wenigen Agenturen, die von Beruf und Familie gGmbH zertifiziert worden sind.
Die Veranstaltung diente ferner dazu, Arbeitgeber zu erreichen, die außerhalb des Netzwerks arbeiten (v.a. KMU). Die Sensibilität für das Thema ist bei Wohlfahrtsverbänden wie der Caritas und der Diakonie sowie größeren Arbeitgebern bereits vorhanden.

 

Was könnte – Ihrer Einschätzung nach – getan werden, um die Gesundheits- und Sozialberufe für Schulabgänger bzw. Jugendliche ohne Ausbildungsplatz attraktiver zu machen?

Gerade in Gesundheits- und Sozialberufen halte ich es für sehr wichtig, dass Jugendliche persönliche Erfahrungen in einem Praktikum gemacht haben. Warum nicht an allen Schulen ein verpflichtendes soziales Praktikum einführen? Manche Schulen in Mannheim machen das schon, darunter auch Gymnasien. Das kann zum einen dazu führen, dass Jugendliche erleben, dass diese Arbeit persönliche Erfüllung bedeutet. Zum anderen aber auch, dass sie erkennen, dass dieser Beruf nicht in Frage kommt. Dabei muss die Altersgrenze für Pflegeberufe beachtet werden.

  

Was kann/muss aus Sicht der Agentur für Arbeit Mannheim von Arbeitgebern unternommen werden, um eine Tätigkeit im Gesundheits- und Sozialbereich attraktiver zu machen?

Die Zulassungsvoraussetzungen im Pflegebereich sollten gesenkt und Verkürzungen erleichtert werden, allerdings nicht im Erziehungsbereich. Zum Beispiel sollte der Zugang zur Ausbildung unabhängig vom Schulabschluss bei absolvierter Erstausbildung oder verkürzte Ausbildung bei langjähriger Berufserfahrung in der Pflege ermöglicht werden.
Es sollte bessere Möglichkeiten der Teilzeit-Ausbildung sowie bessere Möglichkeiten für die Ausbildung von jungen Menschen über 25 Jahre geben. Für die Ausbildungsmöglichkeiten staatlicher Schulen sollte eine Art AZWV-Zulassung ermöglicht bzw. diese erweitert werden. In Rheinland-Pfalz haben alle staatlichen Schulen bereits diese Zulassung. Die Arbeitgeber des Pflegesektors müssten mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Zudem tragen die Ausbildungsbetriebe vorrangig die Ausbildungs- und Finanzierungsverantwortung, die BA leistet bereits einen erheblichen Beitrag zur Deckung des Fachkräftebedarfs. Die Anerkennung entsprechender Berufsabschlüsse von bereits zugewanderten Menschen sollte erleichtert werden. Schließlich müssen auch die Attraktivität des Berufes und der Arbeitsbedingungen in der Altenpflege gesteigert werden, um mehr Menschen für die Ausbildung zum Altenpfleger zu gewinnen und damit auch langfristig Beschäftigungsverhältnisse zu sichern.

 

Welche sonstigen Maßnahmen können – aus Ihrer Sicht – Sozialunternehmen ergreifen, um die Verweildauer der Fachkräfte in ihrem erlernten Beruf zu erhöhen?

Von den Sozialunternehmen könnten folgende Maßnahmen ergriffen werden. Wenn in stärkerem Maße Männer für die Sozial- und Gesundheitsberufe gewonnen werden könnten, würde die Attraktivität und Akzeptanz dieser Berufe steigen. Das wiederum ist elementar für eine gesteigerte gesellschaftliche Akzeptanz bzw. einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert. Es müsste zum Beispiel deutlich werden, dass Pflegedienstleitungskräfte eine hohe Verantwortung tragen.